Donnerstag, 16. September 2010

berlin bleibt nie... windstill!




tücher tanzen im wind (hausfassade nahe oranienburger straße).

berlin bleibt nie... unromantisch!

"wo find ich dich?" schreit mich ein merkwürdig zergliedertes frauengesicht von einem zerissenenen flyer auf einem kreuzberger gehweg an. ich hebe es auf, der großteil fehlt. erst  jetzt fällt mir auf, dass die ganze straße mit dem gleichen flyer tapeziert ist. von jeder laterne, jeder hauswand und jedem wartehäuschen schreit sie mich an: die auf hochglanzpapier gedruckte suchanzeige eines mannes, der angeblich ein mädchen, welches er in der ubahn gesehen hat, versucht wiederzufinden. daneben ein aus unterschiedlichen gesichtern zusammengeschnittenes portrait einer frau. der flyer versehen mit mail-adresse zum abreißen: "www.ben-sucht-anna.de" ...und? weiterleitung zu www.bvg.de/augenblicke : die seite der berliner verkehrsbetriebe, auf der sich menschen suchen (und auch finden?), die den augenblick verpasst haben, die erst während des letzten augenaufschlages, während die bahn den bahnsteig verlässt und der andere nur noch als hirngespinst ohne namen und adresse im kopf herumgeistert, merken "scheiße, hätte ich doch nur...!". (...gleichzeitig marketing der bvg). und hier sucht ben nun wirklich anna? oder handelt es sich bei ben einfach um einen sehr raffinierten werbefachmann der bvg?
natürlich hoffen wir, es gibt ben wirklich, natürlich hoffen wir, er findet seine anna - und natürlich sagen wir uns gleichzeitig, soviel romantik gibt es nicht im wahren leben. zwei einander völlig fremde menschen finden sich mithilfe von in der stadt verteilten plakaten - das passiert doch nicht in wirklichkeit, und wenn überhaupt, dann nur in paris und auch hier nur, wenn man amélie poulain heißt. welcher mensch nimmt sich noch die zeit, für eine ihm unbekannte person ein plakat zu entwerfen, die collage eines gesichts basierend auf der erinnerung einer einzigen begegnung zu erstellen, es auf hochglanzpapier mit perforierten abschnitten zum abreißen der mail-adresse zu drucken, und diese in der ganzen stadt zu verstreuen, all dies in der hoffnung, ein mädchen, welches ihm nur einmal in der ubahn ein lächeln schenkte, sei diese ganze mühe wert,  sie sei die frau, mit der er den rest seines lebens verbringen könnte?
tatsächlich findet man auf der augenblicke-seite mehrere beiträge von ben, und jedes mal sucht er seine anna, wir erfahren alles von ihrer begegnung, fühlen das knistern, die  scheinbare intimität dieses augenblicks, ertappen uns als voyuer, und doch fühlt es sich gut an, wenn ben jede einzelne sekunde des kurzen zusammentreffens zerpflückt und tut, als läge in diesem kurzem moment eine ganze welt. und wieder zu schön um wahr zu sein: beide lasen das gleiche buch "zwei an einem tag", roman von david nicholls über zwei einander fremde menschen, die sich kurz finden, wieder verlieren, nicht vergessen können, und schließlich das festestellen, was der leser schon lange ahnt,  nämlich dass beide füreinander bestimmt sind. soll soviel zufall in unserer welt möglich sein? (...oder handelt es sich gar um eine werbekampagne des buchverlags?)
aber warum eigentlich nicht? warum nicht ein bisschen romantik, warum nicht mal amélie als vorbild nehmen und sich seine eigene fabelhafte welt schaffen? und selbst wenn das alles nur eine marketingkampagne ist, so bringt doch allein die vorstellung von ein wenig raffiniertheit, spontanem glück und zufalll, welches sich dann doch als schicksal entpuppt, ein wenig seligkeit in unseren alltag.